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GKFG Gesellschaft für Kinder- und Frauenrechte gegen Gewalt gUG 

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Vom Klassenzimmer zur Gesellschaft.

Prävention geschlechtsspezifischer Gewalt macht Schule!

„Jungs sagen immer, Mädchen können keine Business-Sachen machen, Mädchen können keine Chefs werden, sie sollen kochen und auf Kinder aufpassen.“ Nein, dies ist kein Zitat aus den 50er Jahren, sondern von einem Mädchen der 4. Klasse aus dem Jahr 2021.

Auch heute noch sind festgefahrene Geschlechterstereotypen allgegenwärtig und schaffen einen fruchtbaren Nährboden für die Legitimierung von Gewalt gegen Frauen. Um langfristig gesellschaftliche Veränderungen zu erreichen, muss Präventionsarbeit bereits in der Kindheit ansetzen, dort, wo die geschlechtsspezifische Sozialisation beginnt.

Ein wichtiger Schritt in diese Richtung ist das Pilotprojekt „Whole School Approach“ (WSA) zur nachhaltigen Verankerung von Frauen- und Kinderrechten, auf ein Leben frei von Gewalt, in Bildungseinrichtungen. Es wird von der Gesellschaft für Kinder- und Frauenrechte gegen Gewalt (GKFG), im Auftrag des Amtes für Soziale Arbeit der Kommune Wiesbaden, durchgeführt.

Der „Whole School Approach“ ist ein innovatives und umfassendes Konzept und unterstützt Bildungseinrichtungen dabei, geschlechtsbasierter Gewalt vorzubeugen. Dabei werden nicht nur Bildungsinhalte vermittelt, sondern auch die Beziehungen und Verbindungen zwischen Lehrer*innen, der Schulleitung, Schüler*innen, Eltern, Gemeindemitgliedern, Entscheidungsträger*innen im Bildungssystem und zivilgesellschaftlichen Organisationen gestärkt, um gemeinsam Ungleichheit und gewaltfördernde Normen und Praktiken abzubauen. Wie GKFG Vorstandsmitglied und Projektleiterin Dr.in h.c. Christine Brendel sagt, ist dies wichtig, da „Schule als Teil der Gesellschaft deren Werte und Normen reflektiert.“

Nachhaltige Prävention geschlechtsbasierter Gewalt durch Bildung

Das Pilotprojekt ist eine Ausweitung des Lernparcours „MamMut“ (Mitmachen macht Mut – Gemeinsam gegen Gewalt), den Prof.in Dr.in Heidrun Schulze 2014 in Ecuador als Teil des GIZ-Projekts ComVoMujer – Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen – in Südamerika kennenlernte und anschließend in den deutschen Hochschulkontext integrierte. Der Lernparcours fördert die Auseinandersetzung mit geschlechtsbasierten Rollenerwartungen und stärkt das Selbstbewusstsein sowie die Handlungskompetenzen der Schüler*innen in Bezug auf das Recht auf ein Leben frei von Gewalt. „MamMut“ wurde bereits in mehr als 25 Schulen in Wiesbaden erfolgreich durchgeführt.

Der Whole-School-Approach bettet „MamMut“ in ein ganzheitliches Konzept ein, welches darauf abzielt, geschlechtsbasierte Gewalt in allen Bereichen der Schule zu adressieren und zu verhindern. Dies umfasst physische, psychische und sexuelle Gewalt sowie strukturelle Gewalt, die durch ungleiche Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern und Generationen entsteht und mittels Geschlechterstereotyper transportiert wird. Der Ansatz basiert auf den Prinzipien der partizipativen Forschung und Bildung für nachhaltige Entwicklung.

Prof.in Dr.in Heidrun Schulze, Gründungsmitglied und Vorstandsvorsitzende der GKFG, beschreibt die Motivation und Zielsetzung folgendermaßen: „Wir möchten praxisrelevante und politisch legitimierte Lösungen für eine gewaltfreie Schulkultur entwickeln und umsetzen. Schulen sind Hauptakteur*innen in der Geschlechterzuschreibung in der Gesellschaft. Sich mit Schule zu beschäftigen, bedeutet, sich mit einem der wichtigsten Akteure der Geschlechtersozialisation zu beschäftigen.“

Entwicklung maßgeschneiderter Schulkonzepte im Rahmen empirischer Forschung

Das Forschungsprojekt setzt auf eine empirische Datenerhebung, die qualitative Einzelinterviews, Gruppendiskussionen sowie geschlechtsspezifische und geschlechtsübergreifende Gruppendiskussionen umfasst. Diese werden mit Schüler*innen, Lehrkräften, Schulsozialarbeiter*innen, Schulpsycholog*innen, Eltern und weiteren Akteur*innen im schulischen Umfeld durchgeführt.

Ein weiteres wichtiges Element des Projekts ist die Einbindung von Masterstudierenden in die Datenerhebung, Auswertung und Evaluation. Dadurch wird nicht nur die Praxisrelevanz der Forschung erhöht, sondern auch der wissenschaftliche Nachwuchs wird für das Thema Gewalt gegen Frauen sensibilisiert und in Gewalt- und Geschlechterforschung ausgebildet.

Die Ergebnisse dieser empirischen Untersuchungen fließen in die Entwicklung maßgeschneiderter Konzepte für die beteiligten Schulen ein, welche dann in Zusammenarbeit mit den Schulen umgesetzt und evaluiert werden.

Partnerschaften für nachhaltigen Erfolg

Das Amt für Soziale Arbeit der Stadt Wiesbaden und das Schulamt unterstützen das Pilotvorhaben aufgrund der erfolgreichen Durchführung des Lernparcours „MamMut“. Zwei Grundschulen in Wiesbaden nehmen derzeit daran teil. Das Projekt ist auf zwei Jahre angelegt und könnte als Modell für weitere Schulen dienen.

Ein zentraler Aspekt des Projekts ist die Zusammenarbeit mit möglichst der gesamten Schulgemeinschaft. Prof.in Dr.in Heidrun Schulze betont die Bedeutung dieser Zusammenarbeit: „Die aktive Einbindung aller Beteiligten – von der Schulleitung über die Lehrkräfte bis hin zu den Eltern und Schüler*innen – ist entscheidend für den Erfolg des Projekts. Nur gemeinsam können wir nachhaltige Veränderungen erreichen.“

Ein Fahrplan für schulische Innovation

Phase 1 – Konzeptentwicklung

In der ersten Phase wird ein maßgeschneidertes Konzept entwickelt. Eine Umfrage unter den Beteiligten (Schulleitung, Lehrpersonen, Schüler*innen, Eltern, Außenbeziehungen) bildet die Grundlage für die Konzeptentwicklung. Die Ergebnisse der Umfrage werden in das Konzept eingearbeitet, und der Konzeptvorschlag wird abgestimmt.

Phase 2 – Umsetzung des Konzepts

In der zweiten Phase wird das erarbeitete Konzept umgesetzt. Dies umfasst Aktivitäten im Rahmen von Wissenstransfer und Kompetenzentwicklung mit unterschiedlichen Akteur*innen sowie die Durchführung des Lernparcours „MamMut“.

Ein wesentliches Ziel dieser Phase ist die Sensibilisierung und Ausbildung der Lehrkräfte und schulischen Mitarbeitenden im Umgang mit geschlechtsbasierter Gewalt, u.a. durch Schulungen und Workshops zu Themen wie geschlechtsspezifische Rollenerwartungen, Umgang mit geschlechtsspezifischer Gewalt sowie die Förderung eines respektvollen und inklusiven Schulklimas.

Phase 3 – Evaluierung des Pilotvorhabens

In der abschließenden Phase werden die gemachten Erfahrungen aufgearbeitet und die Ergebnisse des Pilotvorhabens vorgestellt. Die beteiligten Akteur*innen sind aktiv in den Evaluierungsprozess eingebunden. „Ziel ist es, die Wirksamkeit der Maßnahmen zu überprüfen und mögliche Anpassungen für zukünftige Projekte zu identifizieren“, erklärt Projektleiterin Dr.in h.c. Christine Brendel.

Widerstände und Erfolge: Transformation der Schulkultur durch partizipative Ansätze

In einem vorhergehenden Projekt, bei dem mit Mädchen und Jungen Gespräche geführt wurden, als sie mit ihrer Mutter aufgrund von Gewalt gegen sie und die Kinder in ein Frauenhaus geflüchtet war, gab es anfängliche viele Widerstände. Insbesondere seitens einiger Fachkräfte, die Zweifel hegten, ob traumatisierte Kinder über ihre Erfahrungen sprechen sollten. Trotz dieser Bedenken setzte sich Prof.in Dr.in Heidrun Schulze, Dr.in h.c. Christine Brendel sowie die gesamte GKFG dafür ein, diese Hindernisse zu überwinden und das Projekt dennoch umzusetzen.

Ein zentraler Aspekt dabei war, die Perspektiven der Kinder selbst einzubeziehen. Sowohl individuelle als auch Gruppengespräche wurden geführt, um Ihre lebensweltliche Erfahrung in den Dimensionen Geschlechtszuschreibungen und -erwartungen zu verstehen. Diese Interviews dienten als Grundlage für weitere quantitative Studien und Fragebögen zur Evaluierung der Projektwirkungen. Wie Prof.in Dr.in Heidrun Schulze betont: „Wir müssen mit den Kindern selbst arbeiten, um ihre Perspektiven zu verstehen, was sie erlebt haben und was sie brauchen.“

Obwohl es auch während der Umsetzung Herausforderungen gab, führte diese Herangehensweise, dort, wo sie zum Einsatz kam, zu positiven Veränderungen in der Schulkultur. Geschlechterrollen wurden thematisiert, Kinderbücher kritisch gelesen und Wissenslücken offen kommuniziert, was wiederum gezielte Fortbildungen zur Folge hatte. Projektleiterin Dr.in h.c. Christine Brendel stellte fest, „dass die Unterstützung seitens der Schulleitung und der Lehrkräfte zu einer Wohlfühlatmosphäre und einer positiven Dynamik beitrug.“

Im Einklang mit gesellschaftlichen und politischen Zielen

Das Projekt leistet einen wichtigen Beitrag zur Umsetzung internationaler und nationaler Verpflichtungen Deutschlands im Bereich der Gewaltprävention und Geschlechtergleichstellung. Dazu zählen insbesondere die Nachhaltigkeitsziele (SDGs) der UN und die Istanbul-Konvention.

SDG 4 – Inklusive, gerechte und hochwertige Bildung und lebenslanges Lernen für alle

Das Projekt erkennt die Bedeutung der Gleichberechtigung der Geschlechter bei der Erreichung des Rechts auf Bildung für alle an. Es fördert geschlechtersensible Policies, Planung und Lernumgebungen, die Einbindung von Geschlechterfragen in die Lehrerausbildung und Lehrpläne sowie die Abschaffung geschlechterbasierter Diskriminierung und Gewalt an Schulen.

Wie Prof.in Dr.in in Heidrun Schulze unterstreicht: „Bildung ist ein fundamentales Menschenrecht, das allen gleichermaßen zugänglich sein muss. Durch die Förderung einer geschlechtersensiblen Bildung tragen wir dazu bei, die Voraussetzungen für eine gerechtere und inklusivere Gesellschaft zu schaffen.“

SDG 5 – Geschlechtergleichheit herstellen

Ein zentrales Ziel des Projekts ist die Beendigung aller Formen von Gewalt gegen Frauen und Mädchen. Es trägt dazu bei, geschlechterbasierte Ungleichheiten sowie gewaltfördernde Normen und Praktiken abzubauen.

Wie Projektleiterin Dr.in h.c. Christine Brendel erklärt: „Der ‚Whole School Approach‘ geht über die reine Prävention von Gewalt hinaus und zielt darauf ab, eine Kultur der Gleichberechtigung und des gegenseitigen Respekts zu fördern. Dies wird durch die aktive Einbindung aller Mitglieder der Schulgemeinschaft und die Förderung eines inklusiven und respektvollen Schulklimas erreicht.“

Istanbul-Konvention

Mit der seit 2018 für Deutschland verbindlichen Istanbul-Konvention hat sich die Bundesrepublik verpflichtet, Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt zu verhüten und zu bekämpfen. Artikel 14 der Konvention bezieht sich auf Bildung und verpflichtet Deutschland, Maßnahmen zu treffen, um Lernmittel zu Themen wie Gleichstellung von Männern und Frauen, Aufhebung von Rollenzuweisungen, gegenseitiger Respekt in zwischenmenschlichen Beziehungen, gewaltfreie Konfliktlösung und geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen in die Lehrpläne aufzunehmen.

Schulen profitieren vom Whole School Approach durch Vorreiterrolle und Vernetzung

Die teilnehmenden Schulen profitieren in mehrfacher Hinsicht vom „Whole School Approach“. Sie übernehmen eine Vorreiterrolle in der Prävention geschlechtsbasierter Gewalt und tragen zum Wohlbefinden ihrer Schüler*innen bei. Lehrer*innen und andere Beteiligte erlangen durch das Projekt mehr Wissen und Kompetenzen im Umgang mit Gewaltprävention. Zudem leisten die Schulen einen politischen Beitrag zur Erfüllung internationaler und nationaler Verpflichtungen im Bereich der Geschlechtergleichstellung und Gewaltprävention.

Ein zentraler Aspekt des Projekts ist die Stärkung der Beziehungen und Verbindungen zwischen allen Akteur*innen im schulischen Umfeld. „Durch die enge Zusammenarbeit und den Austausch zwischen Lehrkräften, Schüler*innen, Eltern und anderen Mitgliedern der Schulgemeinschaft schaffen wir ein Netzwerk der Unterstützung und des gegenseitigen Respekts. Dies ist entscheidend für die nachhaltige Verankerung einer gewaltfreien Schulkultur“, erläutert Prof.in Dr.in Heidrun Schulze.

Herausforderungen und Perspektiven des WSA für nachhaltige Veränderungen

Die Umsetzung des „Whole School Approach“ stellt hohe Anforderungen an alle Beteiligten. Es bedarf kontinuierlichen Engagements und offener Kommunikation, um die Ziele des Projekts zu erreichen. Die Herausforderungen liegen vor allem in der Veränderung tief verwurzelter Normen und Praktiken sowie in der Schaffung eines nachhaltigen Bewusstseins für die Bedeutung von Geschlechtergleichstellung und Gewaltprävention.

Prof.in Dr.in Heidrun Schulze betont die Notwendigkeit eines langfristigen Engagements: „Eine nachhaltige Veränderung erfordert Zeit und Geduld. Es ist wichtig, dass wir nicht nur kurzfristige Erfolge anstreben, sondern langfristige Strukturen schaffen, die die Prävention von Gewalt und die Förderung von Geschlechtergleichstellung dauerhaft unterstützen.“

Eine weitere Herausforderung besteht in der Übertragbarkeit des Projekts auf andere Schulen und Bildungseinrichtungen. Die Erfahrungen und Ergebnisse des Pilotprojekts können genutzt werden, um den „Whole School Approach“ auch in anderen Schulen zu implementieren und weiterzuentwickeln.

Ein Projekt, das Wissenschaft, Praxis und Politik verbindet

Der „Whole School Approach“ bietet einen ganzheitlichen und partizipativen Ansatz zur Prävention geschlechtsbasierter Gewalt in Schulen. Durch die enge Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft, Praxis und Politik sowie die aktive Einbindung aller Beteiligten werden praxisrelevante und politisch legitimierte Lösungen für eine gewaltfreie Schulkultur entwickelt und umgesetzt. Die Pilotprojekte in Wiesbaden stellen dabei ein wichtiges Modell für die nachhaltige Verankerung des Menschenrechts auf ein Leben frei von Gewalt in Bildungseinrichtungen dar und tragen zur Erreichung internationaler und nationaler Verpflichtungen Deutschlands bei.

„Unser Ziel ist es, eine Schule zu schaffen, in der sich alle Beteiligten sicher und respektiert fühlen. Eine Schule, die nicht nur Bildungsinhalte vermittelt, sondern auch aktiv zur Prävention von Gewalt beiträgt und damit einen positiven Einfluss auf die gesamte Gesellschaft ausübt“, fasst Prof.in Dr.in Heidrun Schulze die Bedeutung des Projekts treffend zusammen.

Ein weiteres Ziel des Vorhabens ist die Schaffung von Vorbildern und Best-Practice-Beispielen, die andere Schulen und Bildungseinrichtungen inspirieren und motivieren, ähnliche Ansätze zu verfolgen. Die Dokumentation und Weitergabe der im Projekt gewonnenen Erkenntnisse und Erfahrungen spielt dabei eine zentrale Rolle.

Prof.in Dr.in Heidrun Schulze erläutert die Bedeutung der Verbreitung von Projektergebnissen: „Wir möchten die im Projekt gewonnenen Erkenntnisse und Erfahrungen nicht nur für uns behalten, sondern sie aktiv mit anderen teilen. Dadurch können wir einen größeren Einfluss auf die Prävention von Gewalt und die Förderung von Geschlechtergleichstellung erzielen.“

Der „Whole School Approach“ zeigt, dass Schulen als zentrale gesellschaftliche Institutionen eine Schlüsselrolle bei der Prävention von Gewalt spielen können. Durch die Stärkung der Beziehungen und Verbindungen zwischen allen Akteur*innen im schulischen Umfeld können nachhaltige Veränderungen erzielt werden, die weit über den schulischen Kontext hinausreichen.